Aktuell | Story-Archiv
   
 
Home
  Publikationen
  Vita
  Meldungen/Termine
  Extras
 
 
 
 
   
Story
 
Drei Eicheln für Paule

Von Reinhard Staubach

„Sag einmal", rief das Eichhörnchen zu seiner Frau Susanne hinüber. Mit einem riesigen Satz sprang es von der Tanne auf den Baum, wo seine Frau saß. „Hab ich das geträumt, oder hab ich das wirklich gesehen?"

„Was meinst du, mein lieber Egon?" Sie sah ihn unschuldig aus ihren großen, runden, schwarzen Augen an.

„Tu nicht so scheinheilig!" Mit einem weiteren Satz saß er vor Susanne auf dem dicken Ast der Eiche. „Wieso hast du eben drei Eicheln in das Vorratslager von Paule gebracht?"

„Wer, ich? Da musst du geträumt haben Egon." Sie richtete ihren buschigen Schwanz leicht geschwungen auf und sah nun besonders hübsch aus.

Paule war ein alter Eichhornkater, der in den letzten Jahren vergeblich alle weiblichen Eichhörnchen in der Umgebung zu betören versucht hatte. Doch weil er immer träge in der Sonne lag, wollte keine seine Frau werden. Deshalb war er immer noch Junggeselle.

„Ich wünschte, ich hätte geträumt." Egon schaute seine Frau durchdringend an. „Bist du mir untreu? Hast du ein Verhältnis mit Paule?"

Entsetzt zitterte Susanne kurz mit ihrem Schwanz. „Du spinnst wohl! Ich und Paule. Der hat doch nicht alle Nüsse im Schrank."

„Aha, und deshalb bringst du ihm ein paar. Da müh ich mich ab, uns ein gutes Vorratslager für den Winter anzulegen. Und was macht meine Frau? Sie füllt das Lager meines stinkfaulen Nachbarn auf. Wie hat er es geschafft, dieser Tagedieb, dich herum zu kriegen. Los raus mit der Sprache. Ich will jetzt alles wissen. Wenn ich mit dir fertig bin, will ich dich nicht mehr sehen. Dann kannst du zu ihm ziehen."

Der letzte Satz klang nicht nur bedrohlich, er löste augenblicklich Tränen bei der Eichhörnchenfrau aus. Sie hielt die kleinen Pfoten vors Gesicht und begann zu schluchzen.

„Hör mit dem Geplärre auf!", fauchte Egon sie an. „Das hättest du dir früher überlegen sollen!"

„Ich kann doch nichts dafür", begann Susanne zu jammern.

„Aha!", tönte er verächtlich und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Ich, ich hab doch nicht geahnt, dass es ein Feuer geben könnte." Ihre letzten Worte gingen im Heulen unter.

Egon dachte, sie spräche vom Feuer der Liebe und hatte schon keine Lust mehr, sich den Rest des Geständnisses seiner Frau anzuhören. Als sie dann von plötzlich auflodernden Flammen sprach, reichte es ihm.

„Hau schon ab! Ich will dich nie wieder sehen!" Er drehte ihr den Rücken zu.

„Aber", schluchzte sie. „Es ist doch gar nichts zwischen mir und Paule. Wenn ich doch die Streichhölzer nur nicht gefunden hätte."

Eine scheinbar unendliche Zeit saßen beide still auf dem Ast der alten Eiche. Dann drehte Egon sich wieder zu ihr um und fragte: „Was war mit den Streichhölzern?!"

Unter erneuten Tränen erfuhr Egon von seiner Frau, dass sie letztes Jahr im Sommer auf dem Weg am Waldrand ein Päckchen Streichhölzer gefunden hatte. Nie zuvor hatte sie so ein Päckchen gesehen. Sie hatte auch gar nicht gewusst, das es gefährlich sei, mit Streichhölzern zu spielen. Und nun begriff Egon, was vorgefallen sein musste. Offenbar hatte seine Frau den großen Waldbrand drüben im Tal ausgelöst. Paule hatte sie dabei beobachtet und erpresste sie nun. Denn es war nie heraus gekommen, wodurch das Feuer entstanden war. Egon schlug die Pfoten über dem Kopf zusammen. Wie konnte seine Frau nur so einfältig sein.

„Wieso hast du denn die Flamme nicht gleich ausgetreten, als sie noch klein war?", brüllte Egon seine weinende Frau an.

„Es war nicht klein, es war gleich ein riesiges Feuer."

„Quatsch. Jedes Feuer beginnt ganz klein!"

„Als ich genug mit den Streichhölzern gespielt hatte, hat es auch noch gar nicht gebrannt. Die kleinen Hölzchen lagen einfach nur so auf dem Boden umher. Erst als ich wieder auf den Baum sprang, weil Paule auftauchte, da hat es plötzlich gebrannt. Und er hat gesagt, dass ich den Wald angesteckt habe. Und wenn es heraus kommt, würden mich alle davon jagen. Aber wenn ich ihm jeden Tag etwas leckeres zu fressen brächte, würde er den Mund halten."

„Wie, es hat noch nicht gebrannt, als du die Streichhölzer liegen ließt?", fragte Egon.

„Nein, ich bin die vertrocknete Fichte hinauf geklettert und wollte gerade zur Linde hinüber springen, als ich kurz zurück blickte. Da sehe ich von unten Qualm und Feuer, und Paule kommt herauf gehetzt und schreit: 'Was hast du bloß angestellt! Es brennt!'"

„Dieser Halunke", zischte Egon zwischen seinen scharfen Nagezähnen hervor. „Und es ist sicher, dass du kein Streichhölzchen an der rauen Seite des Päckchens entlang gezogen hast, wodurch das Hölzchen zu brennen begann?"

„Nein, ich habe nur so die Hölzchen auf dem Boden hin und her geschoben. Dabei gab es keine Flamme."

„Paule hat also das Feuer angezündet, und dir eingeredet, du hättest es getan. Na warte!"

Mit einem riesigen Satz sprang Egon davon. Wenige Minuten später versammelten sich alle Tiere des Waldes vor der alten Kastanie, in der Paule wohnte. Er staunte nicht schlecht, als die Wildschweine zu ihm herauf grunzten. Auch die Füchse, die Kröten, die Rehe und Igel waren gekommen. In den Bäumen saßen die Vögel. Rotkehlchen, Meisen, Raben und viele andere. Der Uhu war sogar etwas früher aufgestanden, um diese Versammlung bei Sonnenuntergang nicht zu verpassen.

Zuerst wollte Paule nicht zugeben, dass er den Brand im letzten Jahr gelegt hatte. Dass die Eichhörnchenfrau ihm täglich zu fressen brachte, hatten jedoch auch andere Tiere des Waldes beobachtet und sich gewundert. Nun war für alle klar, dass Paule ein Erpresser und Brandstifter war. Sie stimmten darüber ab, dass sie keinen Erpresser und Brandstifter in ihrem Wald dulden wollten. Als sie Steine aufhoben, um Paule zu verjagen, da war es ihm egal. Hochmütig brüstete er sich, wie klug er gewesen war. Die dumme Eichhörnchenfrau habe ihn ein ganzes Jahr mit Essen versorgt, obwohl sie gar nicht das Feuer entfacht habe.

Das reichte Egon. Er sprang Paule an die Gurgel und hätte ihn sicher auf der Stelle umgebracht, wenn der große Uhu sie nicht mit einem kräftigen Flügelschlag vom Ast gefegt hätte. Beide fielen herunter und jeder griff schnell nach dem nächst besten Zweig, um nicht zu Boden zu stürzen.

Paule nutzte die Situation, um sich in der Dunkelheit davon zu machen. Denn es war bereits Nacht geworden. Man hat den Erpresser und Brandstifter Paule nie wieder gesehen.

 
 
 
 
   
 
Nach oben
 

Was wir brauchen, sind ein paar verrückte Leute; seht euch an, wohin uns die normalen gebracht haben.
- George Bernard Shaw (1856 - 1950), irischer Dramatiker und Nobelpreisträger

 
 
 
 
www.reinhard-staubach.de © Copyright by Reinhard Staubach - Aktualisiert: Donnerstag, 27-Jul-2017